Professor für Soziologie an der Universität Basel und an der Hochschule für Soziale Arbeit.
Auslöser der Finanzkrise waren gewiss die fahrlässigen Liegenschaftskredite in den USA, die grossen Risiken für hohe Renditen und die verdeckte Weitergabe von Papieren ohne Wert.
Aber die Finanzkrise ist viel älter und umfassender. Sie dokumentiert auch das Gewinn- und Konkurrenzdenken, die Marktgläubigkeit und die Diffamierung des öffentlich-rechtlichen Korrektivs.
Die Finanzkrise ist auch eine System-, Orientierungs- und Sinnkrise. Hoffentlich regt uns die Krise dazu an, wieder mehr nach dem Sinn dessen zu fragen, was wir tun.
Schneller ist nicht immer besser. Und die permanente Optimierung der Effizienz erweist sich oft als bürokratischer Leerlauf und unproduktiver Stress. Vordringlich ist eine bessere Verteilung von Arbeit und Einkommen. Aber welche Arbeit zu welchem Preis? Und wie geregelt?
Wenn wir mehr Ramsch produzieren, erhöht diese Arbeit zwar das Bruttoinlandprodukt, aber sie bringt, ökologisch und ökonomisch, mehr Kosten als Erlös.
Die Wertschöpfung eines Arbeitslosen ist höher als jene eines Arbeiters, der irgendwelchen Plastik-Schnickschnack herstellt. Und die Reichen, die ihr Geld arbeiten lassen, sind mit ihren überhöhten Ansprüchen längst unbezahlbar. Wir können sie uns so nicht mehr leisten.Halten wir uns persönlich also mehr an die sinnvolle Arbeit. Beachten wir auch stärker die unbezahlte Arbeit. Und erhöhen wir die soziale Sicherheit, indem wir Arbeit und Einkommen (nur) teilweise voneinander entkoppeln und beispielsweise die Ergänzungsleistungen auf alle Haushalte mit zu wenig Einkommen ausweiten.
So wie die AHV-Renten rentieren, würden auch diese zusätzlichen Ausgaben rentieren, den Menschen mehr Freiheit ermöglichen und das kreative Potenzial fördern.
„Soyez réalistes, demandez l’impossible“ hiess ein 1968er-Slogan. Oder anders ausgedrückt: die konkrete Utopie ist Teil der Realität.
Meine Vision: Wir begrenzen die obersten Einkommen auf das Doppelte der untersten. Oder etwas reformistischer: auf das Dreifache.So käme das meritokratische Prinzip wieder mehr zur Geltung. Leistung soll sich lohnen. Deshalb sollten wir auch die grossen Erbschaften von über einer Million Franken, die nach oligarchischem Prinzip mehrheitlich an Millionäre gehen, national besteuern.
Ihre Ansätze gehen in die richtige Richtung. Finde ich sehr gut als Startort für weitere Konkretisierungen.
AntwortenLöschenLeider aber sehe ich keinesfalls eine irgendwie geartete "System-, Orientierungs- und Sinnkrise". Eine geforderte minimale Kontrolle über Investition und Löhne durch die Aktionäre bedeuten doch keine "Sinnkrise". Im Gegenteil hat sich das System als Ganzes verschlankt, ist noch gieriger geworden (das ist jetzt noch kaschiert) und weiss nun, dass es nicht auf den harten Boden aufschlagen kann. Die Staaten verhindern dies. Tür und Tor sind weit geöffnet. Die Kontrolle erfolgt durch abhängige Eigengewächse - unbrauchbar.
Die bisherigen Antworten durch den Staat (Erwerbslosenprojekte) sind auf die Länge realitätsfremd, denn nur wenige lassen sich - auf Dauer - wieder integrieren.
Auch die ewige Ich-AG-Diskussionen lädt zum Gähnen ein, denn dies schaffen nur wenige. Was zwar gut ist und unterstützungswürdig, aber nicht als Ziel für eine ganze Gesellschaft dienen kann.
Also: WAS machen die Milliarden Menschen, die über kurz oder lang aus dem Erwerbsprozess ausscheiden werden, da die Erwerbsarbeit sich zwangsläufig reduzieren wird???
Ohne eine vermehrte Selbst-Investition, gepaart mit Mut, Risiko, Verantwortlichkeit, Ideale, Ziele, Solidarität - wird sich nichts bessern, nichts bessern können.
Die Gesellschaften entwickeln riesige "Reserve-Armeen", die aber auf dem Erwerbsmarkt nicht mehr gebraucht werden. Eine relativ neue Situation, da es weltweit geschieht.
Eine kleine Abfederung existiert heute noch in gewissen Schwellenländern, die mittels billiger Arbeitskräfte dies z.T. noch vertuschen können. Aber morgen schon geht es auch dort nicht weiter. (Vor kurzem gelesen: Brasilien verliert Fabriken, die nach China zügeln, da dort die Arbeitskräfte billiger sind...).
Wir brauchen sofort eine intensive Diskussion über Sinn der Erwerbsarbeit, Wert der Erwerbsarbeit, Sinn des Zwischenmenschlichen Zusammenseins, der Gemeinschaft etc.
Bis diese Diskussion irgend etwas abwirft (wird natürlich nie geschehen) wäre es besser, sofort eine Grundrente (-einkommen) einzuführen und die Leute sich selbst organisieren zu lassen. Allein dies wird die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern.